Bujinkan Furyu Dojo e.V. - Schule für traditionelle japanische Kampfkünste

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Kiai Jutsu, von Soke Hatsumi

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19. März 2018 um 19:14

#1982

Kiai ( Energieabstimmung )

Das japanische Wort „Ki“ bezeichnet die dynamische Kraft des
Universums, die Energie hinter dem „Geist“ aller Dinge, die
existieren oder potentiell vorhanden sind. „Ai“ ist die Grundform
aller japanischer Wörter mit der Bedeutung
„Harmonie“,“Zueinanderkommen“ oder „Vereinigen“. In den Densho
Schriftrollen, die von früheren Großmeistern des Togakure Ryu
geschrieben wurden, wird das Konzept des “ Kiai“ wörtlich als
„Harmonie mit der dynamischen Kraft des Universums“ bezeichnet.
Kiai Jutsu bedeutet daher die Technik, in Einstimmung mit der
dynamischen Kraft zu sein, um angemessen handeln und reagieren zu
können. Es bedeutet das totale Einstimmen in den Fluß der Energien
und an die Ereignisse, dessen Teil wir sind. Alle Teile unserer
Persönlichkeit und alle individuellen Aspekte vermischen sich mit
dem Energiefluss.
In vielen zeitgenössischen Kampfkünsten wurde das Konzept des Kiai
bedauerlicherweise auf einen Schrei reduziert, der aggressive Akte
begleitete. Dieses gibt zwar einen psychologischen Vorteil, jedoch
geht das Konzept des Kiai weit über bloßes Schreien hinaus.
Natürlicherweise entstehen immer Geräusche, wenn Energien
freigesetzt werden. Das Knistern des Feuers, das Grollen des
Donners , der Knall von Feuerwerkskörpern und elektrische
Kurzschlüsse sind Beispiele von Kiai-Schreien in der
Natur. Energieentladungen bei einem Vorwärtssprung, einen Tritt,
einem Wurf oder nur bei einem schnellen Schritt gehen mit einem
schnellen Ausatmen einher. Das Ausstoßen der Luft durch die Kehle,
gekoppelt mit der Körperspannung, erzeugt das brüllende Knurren
des wahren Kiai-Schreies.
Neue Schüler im Judo, Karate oder Kendo werden zum Schreien bei der
Ausführung der Technik angehalten, um richtiges Atmen und
Konzentration zu lernen. Das Auspressen der Luft wirkt der Tendenz
zum nervösen Atemanhalten bei der Technik entgegen. Das gewaltige
Geräusch lenkt den Schüler von seinen Sorgen über einen möglichen
Konterschlag oder Gegenwurf ab. Auch kann der Schrei den Gegner
für Sekundenbruchteile ablenken. Bis der Kiai-Schrei ein
natürlicher Teil des Kämpfers wird, bleibt er jedoch nur ein
unkomfortables Trainingshilfsmittel, er wird nur im Dojo benutzt
und ist nur ein künstliches Gefühl für Übungsstunden. Wie auch
immer, die Trainingshalle muss jedoch die tatsächliche Welt
widerspiegeln, wenn man am Erlernen einer straßenkampforientierten
Kampfkunst wie z.B. Ninjutsu interessiert ist. Es bleibt hier kein
Platz für hemmende Faktoren. Ohne ein Gefühl natürlicher
Ungezwungenheit ist eine Kiai-Schrei ein wertloses Bemühen. Ohne
das tiefe Verständnis seines Sinnes und ohne eine Menge Praxis
frei von Hemmungen kann Natürlichkeit niemals erreicht werden.
Um einen natürlichen Kiai-Schrei zu erschaffen gebrauche einen
halblauten, offenkehligen und vokalen Laut und vermeide
hochtönisches Gekreische oder zarte Geräusche. Gebrauche ein
raues, vollkommen entschlossenes Brüllen und keinen erschreckten
Aufschrei. Der Schrei ist die Intonierung deiner Gefühle und kommt
aus dem Zwergfell hoch, nicht aus der Kehle.
Basieren auf natürlichen Gefühlen existieren nach den alten
Meistern unserer Ninjatradition vier verschiedene Arten von
Schreien:

Angriffsschrei
Der Kiai-Schrei beim Angriff ist ein grimmiges, explosives
Geräusch, welches bewirkt, dass dem Gegner kurzfristig die
Konzentration entfällt. Der Schrei kommt aus dem tiefen Unterleib
und hallt im ganzen Körper nach. Er dient zum Aufschrecken,
Erschrecken und zum Überwältigen des Feindes. Es werden keine
speziellen Worte herausgeschriehen, vielmehr handelt es sich um
ein halblautes, rausgepresstes, fast knurrendes „ai!“, welches für
die japanische Stimmlage typisch ist.

Reaktionsschrei
Der reagierende Kiai-Schrei ist ein schweres, intensives Geräusch,
welches beim Gegner Enttäuschung verursacht, da seine Technik
vereitelt wurde. Von der gespannten Körpermitte zischt der Schrei
aufwärts durch den Körper und begleitet die geistige Freude über
das Entdecken der feindlichen Waffe oder über das erfolgreiche
Ausweichen vor dem Angriff. Die hohl klingende Exhalation hört
sich bei japanischen Praktikern wie „toh!“ an.

Siegesschrei
Der Siegesschrei ist ein ungestümes, triumphales Geräusch nach der
Überwältigung des Feindes. Der klingende Schrei kommt aus dem
Solar Plexus mit der Ausgelassenheit eines Lachens. Er wird
ausgestoßen, um den Feind zur entmutigen oder zur verwirren, wenn
dieser eine Reihe von Schlägen einstecken musste. „yah!“ oder „yoh“
sind natürliche Laute eines Kämpfers, der japanisch spricht, die
Klänge haben jedoch keine wörtliche Bedeutung. Menschen aus
anderen Ländern erzeugen andere Klänge je nach den tonalen
Eigenschaften der Heimatsprache.

„Schatten“-schrei
Der vierte Schrei oder „Schatten“ -Kiai ist nicht unbedingt ein
Schrei mit der Stimme, sondern ist vielmals ein vollständiges
Eintauchen von Körper, Geist und Gefühlen in das Schicksal des
Kampfes. Wenn überhaupt ein Klang entsteht, könnte es sich um eine
Art von „uhmn“ handeln, wenn diese Kiai-Form die Kampfpräsens des
Ninja übernimmt, denn durch die Spontanität des Kampfes werden
Angriffsschrei, Reaktionsschrei und Siegesschrei miteinander in
dem Bewusstsein der sich ständig ändernden Kampfsituation vermengt.
Dieses Kiai ist die größtmögliche Verwicklung in das
Kampfgeschehen. Angriffe erfolgen in entscheidenden Momenten, um
unmittelbar bevorstehenden Attacken zuvorzukommen, so daß der
Angriff in Wirklichkeit eine Verteidigung ist. Man ist mit den
Absichten des Gegners in Berührung, so dass es keine Überraschungen
mehr geben kann und sich somit keine Notwendigkeit mehr des
Reagierens im eigentlichen Sinne ergibt. Schließlich ist auch der
Sieger in Gefahr, da im Besiegten der Wunsch auf Rache eine
fortdauernde Bedrohung darstellen kann. Unterteilungen und
Klassifizierungen vermischen sich und Besonderheiten verschwinden,
wenn man selbst total in das Kampfgeschehen eintaucht, in der
Gegenwart handelt und Vergangenheit und Zukunft vergisst. Der
einzige Klang, den man hört, ist der eigene Atem im Rhythmus mit
den Ereignissen, die von Sekunde zu Sekunde passieren.
Der Schlüssel zur wirkungsvollen Selbstverteidigung ist die
völlige Verschmelzung mit der Aktivität von Augenblick zu
Augenblick. Wenn das Kiai die Persönlichkeit übernimmt, wird die
die Intensität dessen, was man gerade tut oder denkt, den Moment
voll dominieren. Während des richtigen Zeitpunktes werden dann
natürlicherweise brüllende Schreie abgegeben. Man ahmt nicht
lediglich eine Person im Kampf nach, sondern die Persönlichkeit
ist mit seinen Gefühlen in einen wirklichen Kampf verwickelt. Man
wird vollkommen zu seiner Absicht.
Ein Erlebnis meines Lehrers Toshitsugu Takamatsu veranschaulicht
die Wirksamkeit des lebenden Kiai. Vor Jahren, als er noch unter
seinem Lehrer studierte, wurde das Training von einem gewaltigen
Schüler der Sekiguchi Ryu Bujutsu Schule gestört. Der große Mann
forderte das Togakure Ryu Dojo von Großmeister Toda heraus. Als
Toda Senseis höchstgraduiertester Schüler war es naturgemäß
Toshitsugu Takamatsu, welcher die Herausforderung gegen den
Sekiguchi Kämpfer annehmen musste. Bevor er die Herausforderung
annehmen konnte, erhob sich ein Juniorschüler und bestand auf
einen Kampf mit dem Herausforderer. Der Schüler war älter als
Takamatsu Sensei, jedoch nicht so hoch graduiert, aber durch das
Gefühl seiner Entschlossenheit und Verpflichtung wollte er dem
Mann in Auge blicken, welcher die Fähigkeiten von Toda Sensei und
seinem Meisterschüler infrage stellte. Dieses war überhaupt nicht
die gewohnte Prozedur bei solchen Herausforderungen.
Der Schüler bewegte sich ohne Zögern zum Kampfplatz und sprang auf
den Hartholzboden mit einem brüllenden Schrei und einem donnernden
Fußstampfen. Obwohl er älter war, gaben ihm die breiten Schultern,
das narbige Gesicht und die pulsierenden Adern am Hals ein
grimmiges Aussehen. Der Schüler war in Wirklichkeit kein guter
Kämpfer laut Takamatsu, wirkte jedoch so überzeugend auf den
Sekiguchi Mann, dass er sichtlich geschockt zurückweichte, als der
Togakure Ryu Dojo Vertreter ohne irgendwelche Formalitäten auf ihn
zu kam. Ohne Nachzudenken erhob der Sekiguchi Schüler seine Hände
und verbeugte sich als Besiegter, noch bevor sein Gegner die halbe
Distanz zu ihm zurückgelegt hatte. Als Toda Sensei ihn nach dem
Grund seines Aufgebens fragte, antwortete er, dass er völlig
überwältigt von dem Aufschrei der Entrüstung in dem kleinen Mann
gewesen sei, ebenso wie von seinem dämonischen Ausdruck auf seinem
Gesicht. Obwohl er wahrscheinlich ein besserer und erfahrenerer
Techniker als der Togakure Ryu Mann war wurde der Eindringling von
der Kraft der bloßen Absicht allein besiegt.
Die Harmonie mit der allumfassenden Kraft impliziert im Konzept
des Kiai wird keineswegs vom Körper des Einzelnen begrenzt. So wie
in der vorhergehenden Geschichte können auch wir häufig die Kraft
der Absicht fühlen, und zwar bereits weit bevor irgendeine
körperliche Aktion folgt. Selbst wenn keine Handlung erfolgt haben
wir ohne Zweifel die Absicht einer anderen Person gespürt. Wir
wissen, das sie entschlossen waren und das sie sich dann später

gegen eine Aktion entschieden haben. Dieses Spüren der Ki-Kraft
ist bekannt als Sakki oder “ die Killerkraft spüren“. Es ist das Gefühl,
das unsere Absichten über uns herausragen, wenn wir entschlossen
sind, jemanden zu vernichten. Tiere genauso wie Menschen
verströmen dieses Sakki als natürlicher Bestandteil ihrer
Entschlossenheit, ein anderes Wesen zu überwältigen. In
Situationen, wo man sein Leben verteidigen muss, ist diese
Fähigkeit, das Ki eines anderen und dessen Ziel zu spüren eine
entscheidende Fähigkeit, um lebendig aus dem Konflikt
herauszukommen. Diese Fähigkeit ist vielleicht der
bedeutungsvollste Unterschied zwischen der Ninjutsu Ausbildung und
den beliebteren Kampfsportarten.

Togakure Ryu Meisterausbilder Tsunehisa Tanemura wartet ruhig in
der knieenden Körperhaltung Seiza , während Dr. Hatsumi hinter ihm
in Position geht. Tsunehisa Tanemura lässt sich nach links fallen,
als er das Gefühl des Sakki oder die „Tötungsabsicht“ einfängt.
Das Ausweichen erfolgt gerade rechtzeitig, um nicht vom Tenchi
Giri – Abwärtsschnitt des Schwertes getroffen zu werden.

In der Seiza Körperhaltung sitzt Ninjutsu Meisterausbilder Shihan
Fumio Manaka und bewahrt meditative Ruhe, während Großmeister
Masaaki Hatsumi in Position geht. Als er Dr. Hatsumis Absicht zu
schneiden fühlt, taucht Fumio Manaka nach vorne ab, um dem
seitlichen Shinku Giri Schwerthieb auszuweichen. Beachte, daß
Masaaki Hatsumis Augen geschlossen sind. Fumio Manaka kann sich
nicht darauf verlassen, daß er sein Schwert stoppt, falls bei ihm
ein Grund zum Zögern vorliegt.

Von Soke Hatsumi, History and Tradition

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