Bujinkan Furyu Dojo e.V. - Schule für traditionelle japanische Kampfkünste

Shikaku 死角 und die Shinden Fudō Ryū Dakentaijutsu

von Jürgen 22. Juni 2025

bedeutet wörtlich toter Winkel oder toter Punkt

Shi 死 = Tod
Kaku 角 = Ecke / Winkel

In den Koryū 古流 / Kobudō 古武道 hat dieser Begriff eine tiefere, strategisch und taktische Bedeutung.

Ein taktischer toter Winkel bezeichnet im Kampf den Bereich, den der Gegner nicht sehen oder kontrollieren kann, seinen toten Winkel. Ziel ist es, diesen Bereich auszunutzen, um den Gegner zu überlisten oder zu besiegen. In vielen Traditionen ist das Bewegen in den Shikaku des Gegners Teil der Technik (z. B. durch Tai Sabaki, also Körperbewegung / Ausweichen).
Bist du, oder der Angreifer, emotional abgelenkt, arrogant oder unaufmerksam, entsteht auch ein geistiger toter Winkel. Dies kann als Chance zur Öffnung gesehen werden und als eine Möglichkeit für einen geschulten Gegner, den Kampf zu beenden.

In vielen traditionellen Ryū ha ist es ein Ziel der Übung, selbst keinen Shikaku zu hinterlassen. Die Räume geschlossen zu halten und keine Signale, irgendeiner Art zu erzeugen. Es entsteht ein Rundumbewusstsein, ein Gefühl für Maai 間合い (das Raum Zeitgefüge) und Mushin 無心. Alles formt deine Innere Haltung, deine Kokoro no kamae 心の構え.
In der Kampfkunst ist Shikaku aber nicht nur ein Nachteil, sondern auch eine Chance, wenn man intuitiv auf natürliche Weise die Schwachstelle des Angreifers fühlt und ohne Anhaftung eine Handlung ausführt, um den Gegner zu überwinden.

In der Shinden Fudō Ryū Dakentaijutsu 神伝不動流打拳体術, hat der Begriff Shikaku 死角 ebenfalls eine bedeutende Rolle, besonders im Hinblick auf Körpermechanik, Taktik und das Verständnis des Raumes. In der Shinden Fudō Ryū ist das Prinzip, sich außerhalb der direkten Angriffslinie zu bewegen, zentral. Shikaku bezeichnet hier die Position, aus der man den Gegner kontrollieren oder ausschalten kann, ohne sich selbst in Gefahr zu bringen. Oft bedeutet dies, sich im Raum so zu bewegen, wo der Gegner weder sehen noch effizient reagieren kann. Wie in einem Ausweichen in einen Winkel, in dem du den Gegner mit einem Treffer oder einem Wurf natürlich kontrollieren kannst, während er seine Deckung verliert.

Die Shinden Fudō Ryū ist bekannt für ihre natürliche Bewegung im Shizen tai und das Verständnis von Körper und Umgebung.
Das Verwenden von Shikaku entsteht durch instinktives Nutzen von Winkeln. Dem einfühlen in den Rhythmus, das schwächen des Gegners, dem Anpassen an das Gelände und den Raum. Denn die Bewegung in den Shikaku des Gegners entsteht oft spontan, nicht mechanisch, sie ist Ausdruck der Anpassung an die Situation. So wie ich es von Hatsumi Soke verstanden habe.

Die Bedeutung von Fudō 不動 (unbeweglich, unerschütterlich) in der Shinden Fudō Ryū weist auf ein Prinzip hin, die inneren Stabilität trotz äußerer Bewegung zu bewahren.
Du bleibst unbewegt im Geist, während du dich äußerlich in eine Position bewegst, die für den Gegner unsichtbar oder unkontrollierbar ist. Der Gegner denkt, du bist vor ihm, aber du bist schon in seinem toten Winkel, bereit zur Kontrolle oder zum finalen Schlag.

Shikaku ist ein Teilaspekt des Kūkan 空間, denn der tote Winkel ist eine bestimmte Position im Raum. Im fortgeschrittenen Training des Bujinkan lernt man, den Kūkan zu lesen und den Shikaku gezielt auszunutzen.

„Sei dort, wo dein Gegner dich nicht sehen kann, handle, wenn er nicht bereit ist und sei dort, wo er dich nicht erwartet.“

Jürgen Bieber